Nochmal Thema 'Aufrechnung' im Inso-Verfahren

Hier geht es in erster Linie um eine sachbezogene Diskussion von Problemen im Verbraucherinsolvenzverfahren (z.B. zur Existenzsicherung, Zwangsvollstreckung, Verbraucherinsolvenzverfahren). Für aktive und ehemals Selbstständige haben wir ein eigenes Forum 'Selbstständige' eingerichtet. Allgemeine Fragen und Probleme rund um das Thema Schulden können im Forum 'Schuldenprobleme' diskutiert werden. Wie man mit Schulden und den damit resultierenden persönlichen Belastungen und Problemen umgeht und lebt, geht es im Schwesterforum 'life!'.
Forumsregeln
Wichtiger Hinweis: Dieses Forum ersetzt keine Rechtsberatung! KEIN Benutzer darf und will auf dieser Plattform eine Rechtsberatung anbieten, so dass sämtliche Antworten nur als Austausch von Meinungen zu verstehen sind!
Bitte sucht einen Rechtsanwalt auf, wenn ihr rechtssichere Antworten erhalten möchtet!
Antworten
Witwe Bolte
Guru
Reaktionen: 173
Beiträge: 1600
Registriert: 23. Feb 2019, 07:29

Nochmal Thema 'Aufrechnung' im Inso-Verfahren

Beitrag von Witwe Bolte »

Ich hatte das Thema hier schon gepostet, zur Erinnerung nochmal die Fakten:
Es geht um einen SGBII-Leistungsempfänger ("Hartzie") im Insolvenzverfahren.
Es geht um zwei Forderungen des Jobcenters:
1. Eine Forderung aus Zeiten VOR der Inso-Eröffnung
2. Eine Forderung aus Zeiten NACH Inso-Eröffnung.

Die Forderung aus Zeiten VOR, wurde ordnungsgemäß zur Tabelle gemeldet, der IV hat das JC angeschrieben, das JC hat dem IV nicht geantwortet.

Nach einigen Jahren fängt das Jobcenter (im "eröffneten Verfahren") dann an, seine Forderung mit monatlich 10% vom Regelbedarf aufzurechnen.
Der Widerspruch des ALG2-Empfängers wird zurückgewiesen: "Gem. SGB ... dürfen wir das!"
(Kein Wort zum Thema InsO § 94 "Erhaltung der Aufrechnungslage")

Nun ist zwischenzeitlich EINE Forderung komplett 'aufgerechnet', doch das JC behält weiter Geld vom Regelsatz ein, es will also offensichtlich auch die zweite Forderung (die Insolvenzforderung) 'aufrechnen'.

(Zwischenzeitlich wurde das Inso-Verfahren 'aufgehoben', der Insolaner ist also in der WVP, aber das spielt hier ja keine Rolle - oder doch?)

Der IV (ist ein Regel-Inso-Verfahren) wird informiert, der sagt: "Ist mir bekannt, dass die JC aus dem (eigentlich nicht pfändbaren) gern aufrechnen, ist nicht rechtmäßig, aber ich bin nicht Ihr Anwalt (des Insolaners), sie müssen sich schon selbst dagegen wehren."

Deswegen meine Frage/Bitte hier an die Profis nach gerichtlichen Entscheidungen dazu:
Hat vielleicht jemand AZ für mich?
Danke!
0
Werbung
Bot
Beiträge: 263
Registriert: 26. Jan 2020

Re: Nochmal Thema 'Aufrechnung' im Inso-Verfahren

Werbung

Hi Witwe Bolte,

gute Frage, hast du schonmal bei dem Thema "Nochmal Thema 'Aufrechnung' im Inso-Verfahren" geschaut?
0
caffery
praktischer Schuldnerberater
Reaktionen: 433
Beiträge: 2589
Registriert: 13. Aug 2018, 20:45

Re: Nochmal Thema 'Aufrechnung' im Inso-Verfahren

Beitrag von caffery »

MrsRob hat geschrieben: 19. Jan 2020, 14:40 Deswegen meine Frage/Bitte hier an die Profis nach gerichtlichen Entscheidungen dazu:
Hat vielleicht jemand AZ für mich?
Dazu bedarf es keines Urteils. Die Leute müssen einfach nur die Gesetze - und wenn das nicht hilft - ihre eigenen Memos lesen.

3.2.4
Entstehen des Leistungsanspruchs nach Insolvenzeröffnung

Entsteht der Leistungsanspruch des LE erst nach Insolvenzeröffnung oder während der Wohlverhaltensperiode, ist eine Aufrechnung nach § 96 Nr. 1 InsO unzulässig. Es sei denn, das Aufrechnungsprivileg, vgl. Ziffer 3.2.2, wäre noch anwendbar. (Also nur ggf. bei Alterverfahren die vor dem 01.07.2014 beantragt wurden)


https://www.arbeitsagentur.de/datei/fw- ... 015884.pdf
0
Witwe Bolte
Guru
Reaktionen: 173
Beiträge: 1600
Registriert: 23. Feb 2019, 07:29

Re: Nochmal Thema 'Aufrechnung' im Inso-Verfahren

Beitrag von Witwe Bolte »

Danach wäre ja sogar die zweite Forderung des JC weder im eröffneten Verfahren, noch in der WVP 'aufrechenbar', da der Leistungsanspruch (des Schuldners/ALG2-Leistungsempfänger auf ALG2 gegen das Jobcenter) ja jeweils 'neu entsteht'.
*wunder*

Allerdings sind die "Fachlichen Weisungen" kein Gesetz und binden keinen Richter.

Wir hatten schon mal ein Gerichtsverfahren gegen eine GKV (gewonnen), wo der Richter ins Urteil geschrieben hat (sinngemäß): "Die GKV kann in ihre Satzung schreiben, was sie will, damit kann sie aber kein Gesetz 'aushebeln'."

Das dürfte ja analog auch für die 'Fachlichen Weisungen' gelten.

Danke für den Link@caffery.
0
caffery
praktischer Schuldnerberater
Reaktionen: 433
Beiträge: 2589
Registriert: 13. Aug 2018, 20:45

Re: Nochmal Thema 'Aufrechnung' im Inso-Verfahren

Beitrag von caffery »

Wenn Dinge schon eindeutig im Gesetz stehen, bedarf es dazu keines Urteils.
Vielleicht ist das Problem hier, dass die Gesetze an wesentlichen Stellen etwas ömmelig formuliert sind. Dafür hat die Bundesagentur dann ja nochmal extra die fachlichen Weisungen ausgegeben - sozusagen einen hauseigenen Gesetzeskommentar.

Vereinfacht zusammengefasst:

Ist eine JC-Forderung vor Insolvenzeröffnung bereits fällig und aufrechenbar: Es darf aufgerechnet werden. Theoretisch bis RSB-Erteilung. Praktisch aber bei SGB II Empfängern mit 3 Jahres-Deadline (die es nur im SGB II gibt, nicht für alle anderen Sozialleistungen)

Entsteht eine Forderung vor Eröffnung, wird diese aber erst nach Eröffnung fällig: Es kann erst aufgerechnet werden, nachdem diese fällig wurde. (Das hat für Dauerleistungsempfänger nur ein Einzelfällen relevante praktische Bedeutung.)

Entsteht eine Forderung nach Insolvenzeröffnung: Jobcenter dürfen nicht aufrechnen (steht auch so nochmal unter 3.2.5. der verlinkten Weisungen genau erläutert - der am Ende genannte Punkt mit Bezug auf § 51 Abs. 2 SGB I trifft auf SGB II Empfänger nicht zu)
0
Witwe Bolte
Guru
Reaktionen: 173
Beiträge: 1600
Registriert: 23. Feb 2019, 07:29

Re: Nochmal Thema 'Aufrechnung' im Inso-Verfahren

Beitrag von Witwe Bolte »

Tja, da stellen sich dem Nicht-Juristen eben Fragen ...

1. Wann ist eine Forderung "aufrechenbar"?
Geht es hier lediglich um den Fakt, dass einerseits Schulden (hier beim JC) bestehen und andererseits ein Leistungsanspruch (gegen das JC) besteht?
Und dann darf das JC sowohl im 'eröffneten Verfahren' wie auch in der WVP #aufrechnen' - aber max. drei Jahre lang?

2. "Entsteht eine Forderung vor Eröffnung" - trifft hier zu, aber
"wird diese (Forderung) aber erst nach Eröffnung fällig" - trifft hier nicht zu.
Die Forderung wäre lange fällig gewesen - aber das JC hat sich einfach nicht 'bedient'.

3. "Ensteht eine Forderung nach Insolvenzeröffnung ..." - trifft hier ebenfalls zu (auf den 2. Teilbetrag der Gesamtforderung des JC) - dann darf das JC auch nach dem SGB tatsächlich nicht aufrechnen ?

Das JC hier behauptet etwas anderes.
Und der IV sagt: "Geht mich nichts an, wenn das JC Dir vom Regelsatz 10% wegnimmt.
Hat ja nichts mit der (nicht vorhandenen) Inso-Masse zu tun.
Da musst Du Dich selbst gegen Dein JC wehren."

Sorry, caffery (und andere mit Ahnung zur Sache) - aber wenn man von 432,00 Euro im Monat wirklich alles bezahlen muss, dann tun die 10% 'Aufrechnung' schon weh ...

... und es bleibt das 'Störgefühl':
Wofür geht man denn ins Insolvenzverfahren, wenn manche Gläubiger (wie hier das JC) doch 'gleicher' sind als andere. Und sich an dem wenigen, was dem Schuldner verblieben ist, 'bedienen' dürfen.

Deswegen nochmal ein fettes DANKE für weitere Tipps (sofern vorhanden).
0
caffery
praktischer Schuldnerberater
Reaktionen: 433
Beiträge: 2589
Registriert: 13. Aug 2018, 20:45

Re: Nochmal Thema 'Aufrechnung' im Inso-Verfahren

Beitrag von caffery »

MrsRob hat geschrieben: 21. Jan 2020, 17:14 Tja, da stellen sich dem Nicht-Juristen eben Fragen ...
1. Wann ist eine Forderung "aufrechenbar"?
Geht es hier lediglich um den Fakt, dass einerseits Schulden (hier beim JC) bestehen und andererseits ein Leistungsanspruch (gegen das JC) besteht?
Und dann darf das JC sowohl im 'eröffneten Verfahren' wie auch in der WVP #aufrechnen' - aber max. drei Jahre lang?
Ich kopiere einfach mal einen Auszug eines (nicht besonders erfreulichen) Beschlusses des LSG NRW dazu, vielleicht wird es dann klarer.

"Die Aufrechnungsmöglichkeit wird durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nicht
berührt, wenn zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Aufrechnungsberechtigung gegeben ist. Dies ist der Fall, wenn eine Aufrechnungslage besteht. Das ist wiederum
der Fall, wenn sich gleichartige und gegenseitige Forderungen, die auch durchsetzbar sind,
gegenüberstehen. Diese Voraussetzung war gegeben, bevor das Insolvenzverfahren am
30.01.2012 eröffnet wurde, denn das Darlehen wurde dem Kläger im Oktober 2009 bewilligt,
als im laufenden Bezug von Leistungen nach dem SGB II stand. Auf die Frage, wann die
Aufrechnung tatsächlich vorgenommen wurde, kommt es daher nicht an."


LSG NRW Beschluss vom 19.05.2014 – L 12 AS 2259/13 B

Die 3-Jahres Deadline ergibt sich aus § 43 Abs. 4 SGB II und gilt unabhängig von Insolvenzverfahren grundsätzlich.
MrsRob hat geschrieben: 21. Jan 2020, 17:14 3. "Ensteht eine Forderung nach Insolvenzeröffnung ..." - trifft hier ebenfalls zu (auf den 2. Teilbetrag der Gesamtforderung des JC) - dann darf das JC auch nach dem SGB tatsächlich nicht aufrechnen ?
Nach dem SGB schon, aber nach der InsO nicht.
MrsRob hat geschrieben: 21. Jan 2020, 17:14 Das JC hier behauptet etwas anderes.
Es ist mir bekannt, dass manche Jobcenter diese Rechtsauffassung vertreten (z.b. das in München - die ollen Bayern immer...;) Sie beziehen sich da meines Wissens auf eine Abwortung eines Einzel-AG-soziallrichters der mal seine dementsprechende Rechtsauffassung zu einem solchen Sachverhalt in ein Schreiben gezimmert hat, welches bei manchen Jobcentern "viral" gegangen ist. Ein ziemlich dünnes Brett, zumal der Richter seine Meinung meines Wissens einigermaßen exklusiv haben dürfte.
MrsRob hat geschrieben: 21. Jan 2020, 17:14 Sorry, caffery (und andere mit Ahnung zur Sache) - aber wenn man von 432,00 Euro im Monat wirklich alles bezahlen muss, dann tun die 10% 'Aufrechnung' schon weh ...
Ich verstehe das ja. Aber auch wenns hart klingt: Dieses unsägliche Problem haben ja auch sehr viele Leute ohne Insolvenzverfahren.
MrsRob hat geschrieben: 21. Jan 2020, 17:14 ... und es bleibt das 'Störgefühl':
Wofür geht man denn ins Insolvenzverfahren, wenn manche Gläubiger (wie hier das JC) doch 'gleicher' sind als andere. Und sich an dem wenigen, was dem Schuldner verblieben ist, 'bedienen' dürfen.
Wie gesagt: Das spielt sich alles in Regionen ab, für die das Insolvenzverfahren eigentlich nicht gedacht war. Hier stehen zwei Gesetze gegeneinander die völlig unabhängig voneinander von verschiedenen Leuten zu verschiedenen Zeiten aus verschiedenen Gründen verfasst wurden. Hier ist (wo so oft) nicht alles optimal verzahnt.

Die Nummern mit den Aufrechnungen sind da ganz eindeutig so ein Fall. Ich bin mit der vertiefenden Rechtsprechung dazu auch alles andere als zufrieden. Die einzigen Gläubiger die von dieser profitieren können sind solche, die "Vertragsverhältnisse" mit Schuldnern haben, die sich diese nicht aussuchen können - und das sind ja nunmal naturgemäß ausschließlich öffentliche Gläubiger. Da bleibt auf jeden Fall ein Geschmäckle - für die Schuldner, wie auch für die in die Röhre guckenden Otto-Normal-Gläubiger.
0
Antworten