Der Weg zur Schuldenberatung gewagt.

Life! Im Forum Schuldenprobleme werden sachbezogene Fragen rund ums Thema Ver- und Überschuldung diskutiert. Da es für für Schuldner daneben viele Themen gibt, die nicht direkt mit diesen Sachfragen oder Informationen zu tun haben, sondern mit persönlichen, sozialen, familiären oder beruflichen Ursachen und Folgen der Ver- und Überschuldung, haben wir dieses Forum eingerichtet. Im Forum Life! können z.B. diese Themen diskutiert werden: Schulden belasten oft Beziehungen und Partnerschaften: Wie wird man damit fertig? Oder mit dem Druck, wenn Schulden eines Partners eine neue Beziehung von Anfang an belasten? Lebenspraktische Erfahrungen: Wie vermittelt man z.B. den Kindern, dass das mit den Nike-Schuhen nicht geht? Wie wird man selbst damit fertig, wenn man auf einiges verzichten muss? Konsum und Verhältnis zu Geld: Hat sich meine Einstellung zu Geld und Konsum durch die Überschuldung geändert? Kochrezepte für die letzten '3 Tage vor dem Ersten' und andere Tipps , die den eh' schon schmalen Geldbeutel entlasten helfen.
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Sawyer30
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Registriert: 11. Jul 2019, 19:35

Der Weg zur Schuldenberatung gewagt.

Beitrag von Sawyer30 »

Guten Tag.

Ich wollte mal allgemein etwas los werden, wenn man Schulden hat und sich unsicher ist, wie man weiter vorgehen soll. Ich bin schon seit fast 10 Jahren von zu Hause ausgezogen und hatte bisher immer versucht, mein Leben halbwegs auf die Reihe zu bekommen.
Als ich ausgezogen bin, ging es erstmal ohne Ersparnisse an die Beschaffung einer Wohnungseinrichtung. Da ich ein ruhiger Mensch bin und es gerne zu Hause sehr gemütlich habe, hatte ich mir damals direkt eine Couch bzw. Wohnzimmer auf Pump gekauft. Die Raten waren erschwinglich, man konnte alles relativ gut zahlen mit einem normalen Verdienst. Doch das Möbelhaus gab damals noch eine Art Kreditrahmenkarte dazu mit einem Rahmen von direkt 2.500 Euro. Hey, dachte ich mir, klasse Finanzspritze. Ich gab munter Geld aus und wenn es eng wurde, ging ich an die Rahmenkarte. Irgendwann war der Betrag aufgebraucht und man musste zurückzahlen. Die Raten waren mit Zinsen sehr hoch, sodass man ewig hätte zahlen können. So ging ich zur Bank und schuldete um. Höherer Kredit, alter abbezahlt und weiter ging es. Dazu kam ein Freundeskreis mit Leuten, die von zu hause her schon mehr Geld hatten und gerne viel unternahmen. Aufgrund meines schwachen Selbstbewusstseins konnte ich nie Nein sagen und ging überall mit, was mich auch viel kostete. Zudem war ich sehr dumm bzw. gutmütig und gab gerne mal etwas aus oder lud andere wohin ein, denn das kam ja dann gut an.
Leider stand ich am Ende ohne alles da. Geld ausgegeben und manche falschen Freunde weg (zumindest hier Gott sei dank!).
Irgendwann stand ich da - Reparaturen und sonstige Forderungen standen ins Haus und ich wusste nicht mehr weiter.
Da mein damaliger Gebrauchtwagen schlapp machte und ich kein Geld für die Reperatur hatte und auch niemand, den ich privat nach Hilfe hätte fragen können, ging ich ins Autohaus und schloss eine Autofinanzierung ab.
Ich dachte nie im Leben, dass ich die Finanzierung bekomme, da ich schon einige Kredite hatte. Aber die Bank stimmte zu. Dies ging noch ein paar Jahre gut, ich versuchte IMMER, meine Raten zu zahlen, aber am Ende hatte ich bereits Mitte des Monats kaum noch Geld übrig und zahlte im Prinzip nur Geld an Banken zurück und lebte aus dem Dispo mit Essen und Trinken.

Später wurde ich krank, habe noch meinen Job verloren und dann schlug alles wie eine Bombe ein.
Wer finanzielle Probleme hat und nicht mehr weiter weiß, redet sich immer ein, dass man alles bezahlen könne und man sich ja einfach nicht so aus der Verantwortung ziehen möchte mit einer Privatinsolvenz.
Das dachte ich viele Jahre auch. Hatte große Angst vor einer Schuldnerberatung, dass man mir dort nur Vorwürfe machen würde usw.

Vor dem Jobverlust kam es, weil ich die Raten nicht mehr stemmen konnte, zur Gehaltspfändung. Spätestens da hätte ich schalten müssen. Aber ich versuchte mein Scheindasein immer weiter aufrecht zu erhalten. "Es geht ja schon irgendwie".
Nein, gar nichts ging mehr. Ich wurde immer unruhiger, war von Haus aus sowieso psychisch angeschlagen und zog mich von meinen wenigen Leuten, die ich noch hatte, immer mehr zurück. Kein Geld mehr für Kino oder mal eine kleine Reise. Selbst Kleidung kaufen war nicht mehr möglich.

Ich hatte sogar schon einen Hass auf das gelbe Postauto entwickelt. Wenn ich es schon vorfahren sah, schnürte sich mein Hals regelrecht zu. Der Weg zum Briefkasten war wie eine Tortur. Manchmal mehrere Briefe an einem Tag. In meiner schlimmen psychischen Phase warf ich sie verschlossen in eine Schublade. Irgendwann, nachdem gar nichts mehr ging, traute ich mich und machte einen Termin bei der Schuldnerberatung.
Ich öffnete auch hierzu alle Briefe, sortierte meine Forderungen und legte einen Ordner an. Zumindest das gröbste hatte ich zusammen. Als ich dann den Termin hatte, war ich mega aufgeregt - aber zu Unrecht.

Der Berater sah sich meine Unterlagen an, wir stellten zusammen, wie hoch die Schulden ungefähr sind. Mehr nicht. Ich wollte mich erklären, wie es soweit gekommen ist, aber er wollte es nicht wissen. Keine Vorwürfe, kein Mahnen. Ich ging das erste mal seit langem positiv aus einem Gespräch heraus.

Ich bin nun noch ganz am Anfang. Gerade werden erstmal alle Gläubiger angeschrieben, aber mein Berater meinte, dass wohl die Privatinsolvenz die einzige Option wäre. Danach hätte ich Ruhe.

Zwischenzeitlich musste ich auch die Vermögensauskunft beim Gerichtsvollzieher abgeben, dies war aber auch halb so wild. Die Konsequenzen sind eben jetzt da, aber ich will ja auch wieder aus dem ganzen raus. Der Gerichtsvollzieher war auch sehr nett, er sprach mir auch Mut zu und meinte auch, dass nicht nur arme Menschen bei ihm sitzen, sondern er hätte aus allen Lebenslagen schon Leute erlebt, die da durch mussten.

Was mir auch sehr geholfen hat, sich seinen Freunden anzuvertrauen. Die Situation zu schildern, alles rauszulassen. Wer Angst hat, dass sich deswegen Freunde abwenden, dem möchte ich sagen, dass er dann trotzdem die richtige Entscheidung trifft. Denn Freunde, die das nicht verstehen oder für einen da sind, sind auch keine richtigen Freunde.
Ich hatte im privaten Umfeld viel Verständnis bekommen, teilweise offenbarten sich meine Freunde auch, dass sie ähnliche Situationen kennen oder kannten, von denen ich nichts wusste. Sowas stärkt auch wieder das Vertrauen und das Bewusstsein, dass man eben nicht alleine mit solchen Sorgen ist.

Heute könnte ich mir in den Hintern treten, wie viel Geld ich unnötig verpulvert hatte. Was hätte ich alles mit dem Geld sparen können, darüber darf man aber nicht nachdenken. "Hätte, hätte, Fahrradkette"
Wichtig ist es, nach vorne zu schauen. Es ist nie zu spät!

Man denkt zwar immer, dass 6 Jahre Restschuldbefreiung sehr lange sind, aber ich habe meine Schulden fast 10 Jahre mit mir rumgeschleppt und es probiert, also ist das doch ein geringes Problem.

Alles ist lösbar, man muss nur wollen. Zu hause alles in Schubladen stecken lässt das Problem nicht verschwinden.
Ich kann es jedem nur raten, wenn es gar nicht mehr anders geht, den Weg zur Schuldenberatung zu wagen. Es kostet nur einen 5minütigen Anruf, dann hat man einen Termin und dann läuft alles langsam an.
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Re: Der Weg zur Schuldenberatung gewagt.

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Hi Sawyer30,

gute Frage, hast du schonmal bei dem Thema "Der Weg zur Schuldenberatung gewagt." geschaut?
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Ruhrpottmensch
Wissender
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Registriert: 8. Okt 2018, 15:57

Re: Der Weg zur Schuldenberatung gewagt.

Beitrag von Ruhrpottmensch »

"Schöne" Geschichte... Im Sinne davon, dass ich mich in gewissen Punkten wiedererkenne...

Auch ich habe meinen Job verloren, bin dadurch psychisch krank (oder kränker durch "Altlasten") geworden und habe lange Zeit kein Licht am Ende des Tunnels gesehen.

Seit September 2018 bin ich jetzt in der Insolvenz und seit dem geht es jeden Tag mit dem Gemüt aufwärts. Die Insolvenz ist sicherlich kein Kindergeburtstag, aber mit der Eröffnung fällt einem eine riesige Last von den Schultern. Keine Angst mehr vor "bösen" Briefen oder Anrufen. Kein Hin & Hergeschiebe von irgendwelchen Raten um die Maschinerie irgendwie am "kacken" zu halten. Natürlich auch gewisse Einschränkungen (P-Konto, "nur noch" das Unpfändbare was einem bleibt, ein rigoroser "Kontrollzwang" über die Ausgaben.

Aber alles in allem lebt es sich eben deutlich "befreiter" und auch ein ganzes Stück entspannter nach der Eröffnung.

Du hast mit einer Schuldnerberatung schon einen ganz wichtigen Schritt getan. Jetzt wird die Zeit bis zur endgültigen Eröffnung vielleicht noch ein bisschen stressig, aber spätestens danach bzw. wenn Du in der sg. Wohlverhaltensphase, vielleicht auch "Kopfmäßig" wieder auf dem Damm und bereit bist Schulden von einem Arbeitseinkommen zu tilgen, dann wird es deutlich besser gehen. In allen Belangen...

Nutze diese maximal 6 (Oder aber auch maximal 9 Jahre mit Eintragung in der Schufa) als Chance den Umgang mit Geld neu oder anders zu erlernen... Dann hat man von dem ganzen Ding tatsächlich auch wirklich etwas gewonnen...

(Vielleicht kann ein Mod ins "Life" Forum verschieben?!)
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tidus82
Admin
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Re: Der Weg zur Schuldenberatung gewagt.

Beitrag von tidus82 »

Wow, danke dass du diesen Tollen und umfangreichen Thread geschrieben hast!

Auch ich erkenne mich absolut wieder, auch wenn es in der grundsätzlichen Geschichte etwas anders bei mir war. aber Angst vorm Postboten, Angst vorm Briefkasten und Angst vor der „ach-so-bösen“ Schuldnerberatung hatte ich auch jahrelang.
Glaub mir, wenn die Insolvenz eröffnet ist und du realisierst, dass du keine gelben Briefe, keine Mahnungen, keine Forderungen mehr von deinen Gläubigern bekommst - du wirst dich als der glücklichste Mensch auf Erden fühlen... und du wirst dich noch mehr in den Hintern beißen, warum du das nicht schon viel früher gemacht hast ..

Ich freue mich für dich, dass du den Weg endlich nach so vielen Jahren geschafft hast und jetzt geht es nur noch Bergauf :-)
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Sawyer30
Fortgeschrittener
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Beiträge: 40
Registriert: 11. Jul 2019, 19:35

Re: Der Weg zur Schuldenberatung gewagt.

Beitrag von Sawyer30 »

Danke für die Antworten. Ja ich hätte schon längst den Weg zur Beratung wagen müssen. Leider hatte ich durch mein Nichts tun alles viel schlimmer gemacht, als ich es mir jemals hätte träumen lassen.
Daher - wenn Ihr denkt, dass Ihr euch deswegen schämt - lasst den Gedanken, was andere Leute dann denken oder Ihr Versager wärt, nicht an euch heran. Wirklich JEDER kann in diese Situation kommen und es ist stark, wenn man sich wirklich Hilfe sucht und nicht alles anbrennen lässt.
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Christian
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Wohnort: Bochum

Re: Der Weg zur Schuldenberatung gewagt.

Beitrag von Christian »

Mittlerweile bin ich seit 3 Jahren in der Privatinsolvenz und es war die beste Entscheidung die ich treffen konnte. Ich habe viele Menschen kennengelernt, denen einfach die Kraft fehlte den Schritt zu wagen. Und ich darf euch schreiben, dass diese Menschen teilweise auf der Strasse gelandet oder aufgrund von anschließenden Suchtproblemen gestorben sind.
Mittlerweile sehe ich auch die Insolvenz als sehr positiv. Denn es ist auch eine Lernphase. In Achtsamkeit mit dem Geld zu wirtschaften. Ich habe noch das Glück, dass ich in einem Angestelltenverhältnis bin, somit darf ich über den Pfändungsbetrag mein Gehalt behalten. Es war sogar möglich in diesem Jahr mit meiner 17-jährigen Tochter einen Urlaub auf Fuerteventura zu verbringen. Nächstes Jahr zu Ostern möchten wir gemeinsam unseren Tauchschein in Ägypten machen. Und das alles in der Privatinsolvenz !
Man muss auch einfach mal dankbar sein ( und unabhängig von der Diskussion 3,5 oder 6 Jahre ), dass der Staat ein Instrument geschaffen hat mit Auflagen sich von den Schulden zu befreien. Vor 25 Jahren hätte man ein Titel erhalten und in regelmäßigen Abständen würde der Gerichtsvollzieher vor der Tür stehen. Und das 30 Jahre.
Ja und es ist auch einfach ein tolles Gefühl, kein Inkassoschreiben oder sonstige Briefe zu erhalten die in diese Richtung führen. Im Grunde genommen fühle ich mich jetzt schon "schuldenfrei", einfach herrlich.
Ich bin der festen Überzeugung, dass sich der größte Teil der Betroffenen aufgrund gewisser Charaktereigenschaften in diese Situation hineinmanövriert haben. Sei es Gutmütigkeit, Naivität oder auch aufgrund und so war es bei mir, fehlendem Wertgefühl gegenüber dem "Geld", die Gründe mögen vielseitig sein. Aber nach der Privatinsolvenz wird uns diese Tatsache bewusst sein und wir werden auch dementsprechend sensibler mit Situationen umgehen können.
Und so geht es mir. Es macht auch mittlerweile Spaß sich mit den Gesetzen auseinanderzusetzen. Möglichkeiten in der Insolvenz und sonstige Themen die halt in dieser Phase anfallen...
Demnach .. seht es so als hättet ihr den Führerschein verloren. Als Ersatz fährt man mit dem Fahrrad und plötzlich merkt ihr wie gesund eigentlich Fahrradfahren ist...
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