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Re: Ich nenne es mal meinen Standpunkt

Verfasst: 10. Jun 2019, 12:22
von caffery
arreis hat geschrieben: 10. Jun 2019, 12:07 Es geht mir darum,dass der Verdienst von vielen unterhalb des eigentlichen Selbstbehalt liegt. Wie sollen diese Leute überhaupt ein Leben planen, ohne dabei Schulden zu machen?
Ja nun. Ich sag mal: Man kann sich mit Sicherheit ganz vortrefflich darüber streiten, ob das vorgegebene "wirtschaftliche Existenzminimum" ausreichend ist. Besonders da ein gerütteter Anteil davon durch Aufrechnungen, Mietpreisexplosion etc. sogar noch darunter liegt. Aus meiner Sicht ein Widerspruch, der auch den Gerichten ziemlich egal zu sein scheint.

Man sollte dabei aber auch nicht außer Acht lassen, dass es die überwiegende Mehrheit der SGB II bzw. XII Empfänger irgendwie (ich ziehe da ganz tief meinen Hut vor) schafft, damit zu wirtschaften ohne sich zu überschulden.

Von daher wäre mir persönlich die Argumentation, dass Leben vom Existenzminimum zwangsläufig in die Überschuldung führen muss etwas zu einfach.

Re: Ich nenne es mal meinen Standpunkt

Verfasst: 10. Jun 2019, 13:16
von arreis
Zwangsläufig sicher nicht, aber die Gefahr ist wesentlich höher, als bei denen, die ein vernünftiges Einkommen haben.
In erster Linie kommt es aber wohl darauf an, wie der Einzelne mit seinem Einkommen umgeht.

Re: Ich nenne es mal meinen Standpunkt

Verfasst: 10. Jun 2019, 13:33
von caffery
Ja klar. Das meinte ich ja. Viele Faktoren spielen da rein. Natürlich ist ein geringes Einkommen sehr häufig ein Faktor. Aber zu sagen, dass es Einkommen unterhalb des "Selbstbehalts" praktisch unmöglich macht ein Leben ohne Überschuldung zu führen, ist aus meiner Sicht deutlich zu einfach gedacht.

Das soll jetzt nicht "oberlehrerhaft" klingen aber ich berichte einfach mal von meinen persönlichen Erfahrungen: Ich selbst habe auch über 5 Jahre am Stück vom Existenzminimum gelebt. Ich bin zu Anfang meines Studiums mit 20 zu Hause ausgezogen, hatte eine Matraze, einen Schreibtisch, eine Doppelkochplatte und einen uralt-PC. Das restliche Zeug habe ich mir im Laufe der Zeit durch Kleinanzeigen - meist umsonst oder für einstellige Beträge zusammen"geschnorrt". Niemals habe ich einen Fuß in eine Kreditbank gesetzt oder habe etwas auf Raten gekauft.

Meine Eltern haben meine Miete bezahlt und mir das Kindergeld überwiesen. Den Rest musste ich selbst nebenbei z.b. durch Kellnern verdienen. Im Anerkennungsjahr gabs dann 800 Euro, wovon ich meine Miete natürlich selbst bezahlen musste und Kindergeld war dann auch nicht mehr. Danach folgten noch 3 Monate Arbeitslosigkeit mit ALG 1 (effektiv unterhalb des SGB II-Satzes) bevor ich meinen ersten Job mit "normalem" Gehalt fand.

Während der ganzen Jahre hatte ich genau einmal Rückbuchungen (weil ein Sozialverband für den ich Essen ausgefahren habe, die Kohle zwei Monate lang nicht rausrückte) - sonst nichts.

Re: Ich nenne es mal meinen Standpunkt

Verfasst: 10. Jun 2019, 14:19
von Shopgirl
Ich weiß nicht, ob man das mit Empfängern von Sozialleistungen vergleichen kann. Während meines Studiums hatte ich auch kein Geld. Die Situation war ähnlich wie bei dir, aber (und das ist der große Unterschied), ich wusste, dass ich im besten Fall in 4-5 Jahren damit durch bin. Ich wusste, wenn ich das Studium durchziehe, wird es danach schon irgendwo einen Job für mich geben, der mich ganz wunderbar ernährt.

Wie das ist, wenn man (Vorsicht Klischees) einen schlechten Schulabschluss macht, keine Ausbildung findet und sowieso im Hartz IV-Milieu großgeworden ist und auch keine realistische Chance hat, da rauskommen, weiß ich nicht. Ich stelle mir das nur wirklich anders vor als bei Studenten, die in ihrer eigenen kleinen Bildungsblase leben.

Natürlich, da sind wir uns wohl alle einig, ist das Grund sich sinnlos zu überschulden. Aber wenn dann zu dieser beschriebenen Situation noch hinzu kommt, dass man vielleicht auch nie gelernt hat, mit Geld umzugehen, ist es einfach kein Wunder, dass so viele schon mit Anfang 20 insolvent sind.

Re: Ich nenne es mal meinen Standpunkt

Verfasst: 16. Jun 2019, 13:37
von caffery
Die von Dir gemeinte Perspektivlosigkeit ist natürlich auch ein Faktor.

Ich wollte eher den Faktor "Zeit" in den Raum stellen. Nicht im Sinne von Zeitspanne, sondern im Sinne von Zeit in der wir leben.
Ich bin damals vorrangig nicht auf die Idee gekommen mir Dinge auf Finanzierung zu besorgen oder einen Kredit aufzunehmen, weil ich überhaupt nicht in Betracht gezogen hätte, dass ich soetwas bekommen würde.
Natürlich gab es auch damals sowas schon (KKB, Citibank etc.), aber es wurde erstens kaum beworben, galt in meiner Wahrnehmung als ausgesprochen zwielichtig und wurde auch gesellschaftlich kritisch betrachtet.

Heute gilt das als voll Hipp und jede Zielgruppe wird schon vor der Volljährigkeit von der Kreditindustrie und von der Wirtschaft "abgeholt". Da sind auch durchaus junge Leute aus gebildeten Schichten in wachsendem Maße vertreten. Ich kriege immer häufiger Studenten oder Ex-Studenten die sich völlig problemfrei irre Beträge an Studienkrediten zusätzlich zum BaFöG besorgt haben die ihnen auch von als seriös geltenden Banken praktisch aufgenötigt wurden. Wenn dann nach dem Abschluss nicht umgehend eine Top-Stelle rausspringt, vielleicht auch noch ein Kind dazukommt oder der Abschluss gar in die Hose geht ist die Insolvenz ebenso vorprogrammiert.

Sowas gabs vor 20 Jahren praktisch nicht. Natürlich genauso wenig wie Institute die mutmaßlich absichtlich auf praktisch Mittellose zugehen um mit Ratenpause, Überbrückungsdispo zum Dispo, Kreditkarten und Rundum-Sorgloskredit dem wirtschaftlichen Niedergang praktisch sehenden Auges Rückenwind verschaffen.

Dazu kommt dann noch der Handel mit seinem BlingBling von Zeug, dass sich früher einfach bestimmte Leute nicht leisten konnten und das auch jedem klar war. Heute ist das alles kein Thema mehr und jedem wird schon im Kindes- und Jugendalter in die Birne gehämmert, dass er all das unbedingt braucht und auch haben kann - auch wenn er das Geld nicht hat.

Ich will damit nicht sagen: Früher war alles besser. Die Zeiten haben sich aber nunmal geändert und darauf sollte man meines Erachtens auch reagieren und nicht so tun als ob es das Problem nicht gäbe in dem man sagt: Überschuldungen entstehen praktisch ausschließlich durch Schicksalsschläge. Das ist aus meiner Sicht einfach nicht mehr richtig.

Re: Ich nenne es mal meinen Standpunkt

Verfasst: 16. Jun 2019, 15:37
von arreis
@ caffrey

Aus welchem Bereich stammen, nach Deiner Erfahrung, die meisten Überschuldungen, von denen, die einfach den Überblick verloren habe bzw. es ihnen egal war oder bei denen sich die wirtschaftliche Situation geändert hat?

Re: Ich nenne es mal meinen Standpunkt

Verfasst: 16. Jun 2019, 15:48
von Minka1612
caffery hat geschrieben: 16. Jun 2019, 13:37 Überschuldungen entstehen praktisch ausschließlich durch Schicksalsschläge. Das ist aus meiner Sicht einach nicht mehr richtig.
Da gebe ich Dir Recht. Insolvenzen in gewissen Bereichen werden ganz gezielt und auch Bewusst von der Politik herbei geführt.
Das ganze geschieht in meinen Augen seit Jahren im Gesundheitswesen, wenn man mal schaut, ist glaube ich jedes 2 Deutsche Krankenhaus seit Jahren von der Pleite bedroht. Das wird ganz gezielt herbei geführt, mit der derzeitigen Quote im Pflegebereich wird da ganz bewusst noch mal einer"drauf" gesetzt. So viele Pflegende gibt es gar nicht wie gefordert werden. Ziel bei der ganzen Sache ist riesige Gesundheitszentren zu errichten und sämtliche kleinen Einrichtungen zu "entsorgen". Das ist das Ziel. Damit wird ganz vielen "geholfen", Rente... Krankenkassenbeiträge usw...
All die jenigen die die Quote nicht erfüllen, müssen seit diesem Jahr Strafe zahlen... lustig wo sie doch seit Jahren von der Insolvenz bedroht sind, zumindest stand es so regelmäßig in der Zeitung.
Das hat alles seine 2 Seiten. Oder glaubt hier jemand Herr Spahn hätte das eingeführt damit die Menschen älter werden und gut versorgt recht lange leben? Vermutlich ist genau das Gegenteil der Fall.

Auch die Verbraucher werden ganz Bewusst in die Schuldenfalle gelockt von den Banken. Im Vorfeld, bis jemand Insolvenz anmeldet haben die sich eine goldene Nase an den Zinsen verdient, das sie einen riesen Geschäft dabei gemacht haben. Mit Banken als Gäubiger habe ich sehr sehr wenig Mitleid, wie auch mit Krankenkassen.

Re: Ich nenne es mal meinen Standpunkt

Verfasst: 16. Jun 2019, 16:06
von caffery
Eine große Essener Beratungsstelle hat dazu mal einen wie ich finde sehr gelungenen und passenden Präventionskurzfilm gemacht der auf jeden Fall sehens und zeigenswert ist:

https://www.schuldnerhilfe.de/film-finanzkompetenz/

Re: Ich nenne es mal meinen Standpunkt

Verfasst: 16. Jun 2019, 16:39
von Minka1612
Der ist Super gut der Film!

Hab ich mal gleich meinen Kindern geschickt.
Das ist auch so was. Eine meiner Töchter kam just nach dem sie 18 war nach Hause mit einem neuen Iphone. Damals war sie Schülerin ohne einnahmen. Hatte ein normale Samsung Smartphone mit Prepaidkarte.

Ich habe geschuat wie ein Auto als sie damit kam und mir erklärte das D1 das einfach so machte für 44 Euro im Monat bei einer Schülerin ohne Einnahmen. Eigentlich sollte man die Möglichkeit haben, solche Firmen anzuzeigen. Auch wenn sie 18 war, das geht gar nicht das man die Jugentlichen sofort in Verträge lockt OHNE das sie einnahmen haben.... für mich hat das nichts mehr mit Seriosität zu tun.

Heute würde sie das nicht mehr machen, aber das ist schon heftig wie einfach das war...