Insolvenzantrag bei unübersichtlicher Überschuldung. "Der fehlende Gläubiger..."

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caffery
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Insolvenzantrag bei unübersichtlicher Überschuldung. "Der fehlende Gläubiger..."

Beitrag von caffery »

In einem anderen Thema wollte der User "arreis" gerne folgendes wissen:

"Wie geht eigentlich ein Inso vonstatten, wenn man gar nicht weiß wo man überall Schulden hat?"

Da die Frage nicht ins Thema passte, sei sie hier in einem neuen Thema in den Raum gestellt und auch gleich von mir ausschweifend besenft, da sie in der Praxis nicht selten von Relevanz ist und es da einiges an Ängsten, verschiedener Herangehensweisen und "wilder, nicht abschließender" Rechtsprechung zu gibt.

Wie so oft in unserem Themenkomplex gibt es da leider keine abschließende Universalantwort drauf. Es gibt nur Dinge die man tun kann, um das Ungemach-Risiko so gut es geht abzumildern. Diese Dinge kann man mit folgenden Worten am besten zusammenfassen: "Möglichst umfangreiche und nachweisbare Recherche."

Fangen wir mal mit der Ausgangslage an. Im Insolvenzantrag gibt es in Anlage 6 die Gläubigerliste in der Antragsteller ihre Gläubiger auflisten müssen. Unter der Liste muss man unterschreiben. Dort steht der gleiche Satz wie überall in dem Antrag wo er durch eine Unterschrift geschmückt werden muss.
Es wird unter Strafandrohung versichert, dass nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht wurden.

Genau an dieser Formulierung wird man sich messen lassen müssen, wenn ein "vergessener" Gläubiger Tabularasa veranstaltet wenn er bemerkt, dass seine (gehen wir mal davon aus) rechtmäßige Forderung im Antrag keine Erwähnung fand.

Das Thema wird von Beratern sehr unterschiedlich gehandhabt. Ich persönlich hänge das Thema vergleichsweise hoch, da ich erstens von Natur aus ein gründlicher Mensch bin, zweitens gerne möglichst jedes Ungemachpotenzial ausschließe, mir drittens den Luxus erlauben kann mir dafür die Zeit zu nehmen und viertens bereits an einem eigenen Fall erfahren habe was im schlimmsten Fall passieren kann.

Wenn mir jemand sagt, er hätte im Prinzip nur eine lose Ahnung wo er Schulden hat, da er/sie etwa über Jahre blind für seinen Partner etc. unterschrieben hat oder vor Jahren mal "reinen Tisch" gemacht hat und alle Multigläubiger-Unterlagen aus Frust in einem Freudenfeuer abgefackelt hat, dann gebe ich folgende Dinge zu bedenken bzw. als Hausaufgaben mit.

1. Liste machen aus allen Zetteln die noch da sind, sowie aus der Erinnerung.
2. Schufa, Infoscore, Creditreform, Bürgel und EOS anfragen.
3. Die Stadtverwaltung des Wohnorts anfragen.
4. Das Vollstreckungsgericht des Wohnorts anfragen.
5. In Extremfällen die Mahngerichte anfragen (so viele gibts da nicht von)
6. ggf. auch bzw. oder das Vollstreckungsportal der Länder besuchen. (obschon ich persönlich das Dingen blöd finde)
7. ggf. noch den Inkassoservice der Bundesagentur
8. Sicherstellen, dass man für eine Zeit von (aller)mindestens sechs Monaten seine Post bekommen und gesichtet hat.

Zusätzlich gibt es aus meiner Sicht auch noch Gläubiger, die man einfach nicht vergessen kann bzw. man wohl keinem Richter der Welt mit gesundem Menschenverstand erklären könnte, dass man sie vergessen hat, selbst wenn sie nicht bei der Recherche auftauchten. Dies sind etwa Gläubiger von Schmerzensgeldern oder Schadenersatzforderungen zu denen es auch strafrechtliche Geschichten gab. Auch sowas wie z.b. Immobiliendarlehen oder Kreditverträge über fünfstellige Summen halte ich für schwierig... sowas eben.

Wie ich bereits sagte: Ich hänge die Recherche vergleichsweise hoch. Ich kenne Kollegen (und auch Anwälte), denen das fast egal ist oder die bestenfalls mal zu einer Schufaauskuft raten.
Ich persönlich halte das - je nach Geschichte des Ratsuchenden - für deutlich zu wenig und auch ein wenig fahrlässig.

Nochmal zur Erläuterung: Man muss nicht all das machen was ich oben geschrieben habe. Man könnte aber sogar noch mehr machen.
Es steht nirgends, was man alles braucht und auch nirgends, was ausreicht um komplett sicher zu sein. Es geht immer um den "worst case" einem Richter im Einzelfall schlüssig erklären zu können, dass der Gläubiger nicht absichtlich oder grob fahrlässig weggelassen wurde. Je mehr man dafür an Recherche vorweisen kann, desto besser sind die Chancen, dass es positiv ausgeht. Wenn man z.b. acht Gläubiger vergessen hat und nur sagen kann "Aber ich habe doch die Schufa angefragt!", ist das aus meiner Sicht einfach zu wenig.
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Re: Insolvenzantrag bei unübersichtlicher Überschuldung. "Der fehlende Gläubiger..."

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Hi caffery,

gute Frage, hast du schonmal bei dem Thema "Insolvenzantrag bei unübersichtlicher Überschuldung. "Der fehlende Gläubiger..."" geschaut?
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insolaner
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Re: Insolvenzantrag bei unübersichtlicher Überschuldung. "Der fehlende Gläubiger..."

Beitrag von insolaner »

interessantes Thema :D

Gerade bei den unter 2. genannten kann man ja "ruhig" alle anschreiben, da ich bei denen nicht davon ausgehe, dass die eine Insolvenzmeldung "übersehen" und mich dann "vergessen".

In einem Fall (privater Vermieter vor 20+ Jahren) weiss ich zB nichtmal mehr den Namen, und auch keine weiteren Details, Unterlagen habe ich dazu selbstredend auch keine mehr (wenn schon zu deutlich jüngeren Sachen, also vielleicht fünf Jahre, nichts mehr vorhanden ist).

Die Punkte 3. und 7. betreffen dann wahrscheinlich "nur" Verbindlichkeiten bei den entsprechenden Institutionen, und/oder bei denen durch diese vertretenen Gläubiger - wobei, die vollstrecken ja nicht für Dritte, da könnte man höchstens das Hauptzollamt noch mit ins Boot nehmen, wegen Krankenkassen, oder läuft das auch mittlerweile über den Obergerichtsvollzieher?

Punkte 4. und 5. sind logisch und eigentlich nachvollziehbar, allerdings finde ich die Anfrage bei allen Mahngerichten schon heftig...

Nummer 6. verstehe ich dagegen absolut nicht, kannst Du mir das bitte erklären?

Und wenn das textlich erwähnte Feuerchen vor weniger als sechs Monaten stattgefunden hat, ist das echt schon schwierig, es kann ja auch im Zusammenhang mit einem Wohnungsverlust und/oder "nur" Umzug gewesen sein. Vielleicht spielt bei der ganzen Problematik ja auch noch eine psychosomatische Störung mit rein, aber so etwas liesse sich ja auch attestlich nachweisen.

Es mag sich ein wenig kleinlich anhören, aber wer zahlt eigentlich das ganze? Ich glaube ja kaum, dass so eine Anfrage rein per eMail ausreicht, muss da nicht etwas auf dem Briefwege angefragt werden? Und die ganzen genannten Punkte sind ja schon einige. Es soll ja durchaus Schuldner geben, die auch ohne dem Alkohol oder anderen verfallen zu sein am Ende des Geldes noch sehr viel Monat übrig haben, weil zB. das Jobcenter die Wohnung nicht ganz zahlt oder ähnliches...

Genau wie @cafferey freue ich mich auf eine interessante Diskussion :)
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caffery
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Re: Insolvenzantrag bei unübersichtlicher Überschuldung. "Der fehlende Gläubiger..."

Beitrag von caffery »

insolaner hat geschrieben: 21. Apr 2019, 05:14 Nummer 6. verstehe ich dagegen absolut nicht, kannst Du mir das bitte erklären?
hmmm... was genau hättest Du denn da gerne erklärt?
Vielleicht hilft ja das schon weiter:
https://www.vollstreckungsportal.de/zpo ... kommen.jsf
insolaner hat geschrieben: 21. Apr 2019, 05:14 Und wenn das textlich erwähnte Feuerchen vor weniger als sechs Monaten stattgefunden hat, ist das echt schon schwierig, es kann ja auch im Zusammenhang mit einem Wohnungsverlust und/oder "nur" Umzug gewesen sein. Vielleicht spielt bei der ganzen Problematik ja auch noch eine psychosomatische Störung mit rein, aber so etwas liesse sich ja auch attestlich nachweisen.
Du meinst also, jemand der sich eine "psychosomatische Störung" attestieren lässt kann einen quasi leeren Antrag in die Welt zimmern, da er mit seinem Attest erklären kann, dass er ein paar Wochen vor dem Antrag all seine Gläubigerunterlagen verbummelt hat und damit den Vorwurf der "groben Fahrlässigkeit" abwehren?
Halte ich für einen optimistischen Versuch.
insolaner hat geschrieben: 21. Apr 2019, 05:14 Es mag sich ein wenig kleinlich anhören, aber wer zahlt eigentlich das ganze? Ich glaube ja kaum, dass so eine Anfrage rein per eMail ausreicht, muss da nicht etwas auf dem Briefwege angefragt werden?
Dein Ernst? Ich kann das amüsiert-schockierte Auflachen von mitlesenden Gläubigerfreunden quasi bis zu meinem Schreibtisch hören;)
Sowas wie eine aus Steuergeldern gespeiste "Portokasse" für antragswillige Multigläubiger-Schuldner wäre sicher eine sozialpolitische Forderung mit Schmunzelgarantie.
Da sollte man m.E. selbst als beruflicher und persönlicher Schuldnerfreund (wie ich einer bin) doch irgendwann auch mal die Kirche im Dorf lassen...
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PleiteGeier15
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Re: Insolvenzantrag bei unübersichtlicher Überschuldung. "Der fehlende Gläubiger..."

Beitrag von PleiteGeier15 »

caffery hat geschrieben: 20. Apr 2019, 18:52 5. In Extremfällen die Mahngerichte anfragen (so viele gibts da nicht von)
Ich hatte das damals so gehandhabt, dass ich alle 12 oder 16 Mahngerichte in Deutschland angeschrieben hatte. Ich hatte ein Brief verfasst in dem stand das ich gerne meine Schuldenkarriere, beenden möchte, aber den Überblick verloren hab, deswegen bitte ich um Mithilfe.
Das hat mich pro Brief eine Briefmarke gekostet, mein Personalausweis in Kopie und meine letzten Melde Adressen beigefügt.
Von jedem Gericht hab ich eine Antwort bekommen, von wegen hier ist was, dann mit Auszug, von wegen Gläubiger xy möchte Summe X von dir haben, mit Aktenzeichen. Nur ein Mahngerichte wollte mir nicht helfen, die hatten mir nur eine Antwort geschickt, von wegen hier ist was, aber da kostet jeder Auszug 0,50€ das wollte ich nicht investieren.

Ich dachte ich lass diesen Kommentar mal hier für die Leute die nicht wissen wie sie die Gerichte anschreiben sollen.

https://www.mahngerichte.de/de/mahngerichte.html

Danke Caffery für den Beitrag.
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caffery
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Re: Insolvenzantrag bei unübersichtlicher Überschuldung. "Der fehlende Gläubiger..."

Beitrag von caffery »

Hier gabs etwas Neues von LG Gera.

Das Gericht bekräftigte noch einmal, dass

"das Fehlen einzelner Gläubiger oder Forderungen den Antrag nicht unzulässig (macht), jedoch muss der Schuldner gebührende Anstrengungen unternehmen, um ein vollständiges Verzeichnis zu erstellen."

Außerdem ging es um die Zulässigkeit der Vorgehensweise einen Gläubiger dessen Forderungshöhe unbekannt ist, mit einem fiktiven Wert von 1 Euro bzw. 0,01 Euro im Antrag anzugeben. Das Gericht war der Ansicht dies sei zulässig wenn vorherige Bemühungen den Gläubiger zum Übersenden einer Forderungsaufstellung zu bewegen erfolglos waren.
(Puh! Das macht mich sehr glücklich - ich mache es nämlich andauernd so;))

Ach ja - es wurde auch nochmal erwähnt was ohnehin schon immer so war: Auch strittige Forderungen gehören in den Antrag. Es ist also völlig egal wie absurd eine Forderung (auch inder Höhe) erscheinen mag. Den Gläubiger einfach nicht bzw. in geringerer Höhe aufzuführen weil man ihn für doof, verjährt, frech oder komplett unseriös hält ist keine gute Idee. Es sei denn der Gläubiger hat euch unzweideutig erklärt, dass die Sache erledigt ist. (Wenn man sich dabei besser fühlt, kann man die entsprechende Forderung aber im Antrag als "bestritten" kennzeichnen)

Landgericht Gera, Beschluss vom 17.01.2019, 5 T 323/18
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Dio B.
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Re: Insolvenzantrag bei unübersichtlicher Überschuldung. "Der fehlende Gläubiger..."

Beitrag von Dio B. »

Ich möchte mich hier mal kurz bedanken.
Zum Einen für die freundliche Hilfe mancher einzelner Beteiligter in meinem anderen Thread (hier konnte ich mich leider nicht mehr bedanken da der Thread zu gemacht wurde) wie auch für diesen äusserst hilfreichen Beitrag!

Auch ich habe es teilweise schon mit der Angst zu tun bekommen wenn ich daran denke dass irgendwann der Gerichtsvollzieher Vermögensauskünfte und Co. von mir haben will.
Nicht dass ich Diese nicht erteilen will sondern weil ich nicht mit Sicherheit sagen kann ob ich alle Gläubiger auch wahrheitsgemäß angegeben habe und mir desweigen nicht später Gefängnis drohen kann.

Es ist sehr gut zu wissen dass hier ein ernsthafter und umfangreicher Versuch der Informationseinholung bereits ausreicht :-)
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